Gewebte
Bänder rund um die Ostsee
von
und bei Anneliese Bläse
Besondere
Webtechniken:
Archaische
Muster
Für diese Muster habe ich
den estnischen Ausdruck
„archaisch“ wörtlich übernommen, weil er so gut ausdrückt worum es sich
handelt.
Sie sind der älteste Versuch, mit bescheidenen Mitteln in
das einfache Schussbandmuster etwas Abwechslung zu bringen.
Sie
entstehen, wenn aus
der einfachen 1:1-Ripskette einige Fadengruppen angehoben oder herunter gedrückt werden.
Aus Estland
hier ein paar Beispiele für
"archaische Gürtel", links 2 Musterzeichnungen, rechts 2
Originalgewebe..
Eigener Versuch
Ich habe den ersten Gürtel oben
selbst nachzuweben versucht. Dazu nahm ich gewöhnliches Topflappengarn
für die dicken, bunten und einfaches Baumwollgarn für die dünnen,
weißen Fäden.
Zuerst
machte ich eine Musterzeichnung. Da sich herausstellte, dass mein Kamm
zu wenig Plätze hatte, habe ich es etwas vereinfacht.
halber
Mittelfaden>>
Das ist dabei herausgekommen:
Die weißen
Punkte verschwanden leider unter dem zu dicken Grün.
Zum
archaischen Gürtel die archaische Tracht
In
Estland hat noch jeder Landkreis - ursprünglich Kirchenkreis - seine
eigene Tracht. Der Norden ist industriell weiter
entwickelt. Viele Leute die dort wohnen und arbeiten, erzählen von ihrem Elternhaus,
einem Bauernhof im Süden. Eine scherzhafte Bezeichnung für die Bewohner
Südestlands ist Mulgi. Das sind Leute, die gern in der Erde wühlen, ihr
Stückchen Land geht ihnen über alles - fleißige
Bauern. Davon hat der Mulgimantel, den die Dame auf dem Bild trägt,
seinen Namen.
Er wird auch viel von Männern getragen, lang, schwarz, mit rotem
Besatz.
Stilgerecht gehört zu dem archaischen Gürtel, den die Frau trägt, der
Wickelrock, - an der unteren Kante deutlich zu sehen - auch
schwarz mit rotem Besatz. Er wird »vaip« genannt, das Wort bedeutet
Decke oder Teppich. Diese älteste überlieferte Form eines
Frauenrockes in Estland geht noch auf die Frühzeit zurück, als die
Schneiderkunst kaum entwickelt war, aber die Stoffe genau nach Maß
gewebt wurden, eben damit man nichts abschneiden musste.
Ein weiteres wichtiges
Trachtenteil ist die grüne Baumwollschürze, (die
früher sicher aus Leinen war), wieder mit rotem Band eingefasst. Und
dann hängt da in der Schürze noch ein wunderschön mit sogenannten
Sonnenmustern besticktes Tuch mit
Fransen. Auch diese Stickerei nennen die Esten »archaisch«. Auf meine
Frage nach dem
Gebrauch des Tuches kam die Antwort, etwas verlegen: »Damit fasst man zum Beispiel das
Gesangbuch an, wenn man in die Kirche geht« . Welch schöner, uralter Brauch:
Auf einer
griechischen Ikone von 1600 sah ich die dienstbereiten Engel
vor Jesus stehen – mit tuchverhüllten Händen.
Das eben noch
sichtbare Ende
von ihrem Schuhriemen
zeigt, dass die Frau Pasteln trägt, die typisch estnischen, ledernen
Bundschuhe. Da man in
Estland, so ähnlich wie im
deutschen Vogtland, das P fast wie B ausspricht, hat sich in der
älteren Literatur die Meinung entwickelt, die Esten würden immer mit
Bastschuhen herumlaufen. Das ist ein Übersetzungsfehler.
Aus
dem Museum in Viljandi
Foto
A. B.

In Lappland
werden diese Muster auch gewebt, sieheißen dort
„Blümchen
und Punkte“.
Im schwedischen Lappland ist in den letzten Jahren durch
die Saamestiftelse, die
Samenstiftung die Kultur der Samen, Saami oder auch Sapmi gründlich
erforscht worden. In den einzelnen Regionen gibt es Bücher zu kaufen,
in welchen die Bandweberei, die vor Ort üblich ist, jeweils ausführlich
dargestellt wird, samt Fachausdrücken auf Samisch und Schwedisch. Drei
dieser schmuck gestalteten Veröffentlichungen habe ich kennengelernt
und von einer Vierten erzählen
hören. Mir scheint, die Stiftung hat junge Volkskundestudentinnen oder
Absolventinnen zur Feldarbeit nach Lappland geschickt, und diese
Büchlein sind die Ergebnisse ihrer Arbeit. Man bekommt sie nicht über
den Buchhandel, sondern nur den Läden der jeweiligen Touristinfos.
Leider kann ich nicht mehr
reisen, ich würde zu gern selbst mal nachsehen. Mir fiel auf, dass
die einzelnen Volksgruppen der Saami, ob nun in Umeå oder Inari, zum
Teil recht verschiedene Webtechniken haben und auch verschiedene Worte
für
die gleichen Gegenstände oder Arbeitsvorgänge gebrauchen. Ich hatte
bisher keine Ahnung dass es in der Sprache der Saami so viele
unterschiedliche Dialekte
gibt.
Eine
ganz besondere Methode für die gelesenen Muster fiel mir auf. Manche
Weberinnen fädeln nur die Fäden für das Basisgewebe in den Kamm ein und
legen
die Musterfäden lose
oben darüber wie eine Extrakette.
Irgendwie
schaffen sie es, die Musterfäden in das Gewebe mit einzufügen, - wie
sie
das machen, ist
aus den Fotos nicht zu erkennen, aus dem Text wurde ich auch nicht
schlauer.
Für die einfachen archaischen Muster wird häufig der Webekamm mit 2
Lochreihen
benutzt, mit dem man 3-schäftig weben kann.

Webekamm der Saami aus Torne in Schweden
mit doppelter Lochreihe zum Musterweben

Aus
Norwegen und aus Estland
kennt man die
archaischen Muster auch als Randmuster von sehr
alten Bänder. Sie sind in
anderer Fadenfolge
aufgezogen, wie unsere gelesenen Muster, nämlich Grundfaden zu Musterfaden
1:1 und nicht 1:2.
Diese Muster haben ihren
eigenen Rhythmus. Für unsere Augen wirken
sie manchmal sogar störend, wenn sie im "falschen Takt"
neben dem Hauptmuster in der Mitte herlaufen.
Vielleicht soll es aber so sein und hängt sogar mit
der Schutzzauberfunktion
des
Gürtels zusammen. Ist es möglich, dass die bunten Muster den bösen
Geistern
die Augen verwirren
sollten, damit sie
sich dem Gürtelträger
nicht nähern konnten,
so wie das Augenmuster auf den Flügeln den Schmetterling
vor dem hungrigen Vogel schützt?
Was wissen wir modernen Menschen schon
von Geistern?
Viele Bänder mit
archaischem Rand finden wir in Estland, im Heimtali Museum bei Viljandi, das von Anu Raud
betreut wird.
Anu ist Professorin an der Textil-Hochschule in der Hauptstadt Tallinn.
Mit ihren
Studentinnen hat
sie in den letzten Jahren besonders auf der Ostseeinsel Kihnu alte
Trachten erforscht und dabei auch viele noch unbekannte Bänder
entdeckt.
Hier hat sie uns ein ganzes
Bündel davon zum Fotografieren drapiert, alle mit Randmustern >
Danke, Anu!

< links ein
norwegisches
Beispiel
aus dem Folkemuseum in
Oslo,
wo ich im Sommer 2000
fotografierte:
11 Musterfäden in der Mitte und je
5 an den Rändern
.....und
weil ich die Verbindung zu den uralten Zeiten so interessant finde, noch
ein
Norwegischer
Frauenrock,
der sich auch aus der Frühzeit herleitet,
ein
Trägerrock, der gleichzeitig Wickelrock ist, Tracht aus Torpo im
Hallingdal .
Die Träger und der breite Saum tragen prachtvolle Stickereien, bei
denen ein
leuchtendes Rot die Hauptfarbe ist.
In Uppdalen tragen die Frauen dazu ein gewebtes Band als Gürtel.